13.12.2022

“Gerade jetzt ist unsere Einigkeit von entscheidender Bedeutung" - Wendy Sherman besucht FES Berlin

Während ihrer Europareise besuchte die stellvertretende Außenministerin der USA, Wendy Sherman, die Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. In ihrer Rede zur "Transatlantischen Partnerschaft in Indopazifik" betonte Sherman die Bedeutung der deutsch-amerikanischen Beziehung für die Zusammenarbeit zwischen den USA, der EU und Partnern im Indopazifik. Die komplette, übersetzte Rede:

Photo credits: Laurin Schmid

Guten Tag. Vielen Dank für die herzliche Einführung, Michael. Ich danke Mirco und allen hier an der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Einladung. Es ist eine besondere Ehre, sich hier mit so vielen führenden Köpfen aus ganz Berlin austauschen zu können.

Damals, 1987, und damit verrate ich jetzt, wie alt ich bin, worauf ich auch sehr stolz bin – ich bin 73. 1987 war ich eine von „40 Amerikanerinnen und Amerikanern unter 40“, die anlässlich des 40. Jahrestages des Marshallplans nach Berlin reisten.

Ich erinnere mich noch sehr deutlich an diese Reise. Ich erinnere mich, dass ich im Reichstag hörte, wie George Kennan die Entstehungsgeschichte des Marshallplans erläuterte und wir darüber diskutierten, wie weit wir es seit den Nachkriegsjahren gebracht hatten und was für ein weiter Weg angesichts des andauernden Kalten Kriegs auch noch vor uns lag.

Berlin war in dieser Zeit, wie Sie sehr gut wissen, eine geteilte Stadt. Die Mauer stand noch immer und überschattete das Leben der Berlinerinnen und Berliner und das von Millionen Menschen in ganz Europa.

Meine vielleicht lebhaftesten Erinnerungen an diese Reise habe ich an Ereignisse außerhalb des offiziellen Programms. Mein Mann und ich – niemand wusste, dass wir verheiratet sind und wir wurden beide für die 40 Amerikanerinnen und Amerikaner unter 40 ausgewählt – entschlossen uns, die Grenze nach Ostberlin zu überqueren. Wir durften nur 50 Ostmark mitnehmen und hatten schnell kein Geld mehr, da half uns ein Fremder

aus – ein unter dem Joch der Unterdrückung lebender DDR-Bürger, der uns aber Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegenbrachte.

Dann kam die eindrücklichste Erinnerung von allen: Ostdeutsche Soldaten teilten uns mit, dass wir Ost-Berlin nur genau dort verlassen könnten, wo wir eingereist waren. Wir durften nur den einen Grenzübergang nutzen, der weit weg von dort war, wo wir uns gerade befanden, daran gab es nichts zu rütteln.

In diesem kurzen Augenblick bekamen wir einen einen kleinen Eindruck von der fehlenden Freiheit der dort lebenden Menschen. Das war natürlich nichts im Vergleich zu der Unterdrückung, die diejenigen täglich erdulden mussten, die nicht frei entscheiden konnten, wohin sie reisen, gehen, wo sie arbeiten oder kommunizieren wollten.

Aber diese Erfahrung blieb mir im Gedächtnis. Wir dürfen nie wieder zu der Zeit zurückkehren, in der die Rechte der Einzelnen auf diesem Kontinent oder anderswo eingeschränkt waren. Wir dürfen nicht zulassen, dass neue Mauern gebaut, neue Trennlinien gezogen werden.

Stattdessen sollten wir uns von den mutigen Taten um uns herum inspirieren lassen – von den Ukrainerinnen und Ukrainern, die für ihre Unabhängigkeit Opfer bringen, oder den Iranerinnen, die für ihre Freiheit demonstrieren und dafür ihr Leben riskieren. Diese Ereignisse führen uns vor Augen, dass Menschen immer bereit sind, dafür zu kämpfen, dass sie selbst über ihr Schicksal bestimmen können. Sie führen uns vor Augen, dass – wie es in Berlin im Kalten Krieg war, wie es in fast jeder Generation ist – es sich lohnt, für die eigenen Ideale zu kämpfen.

Heute findet dieser Kampf, wie Michael sagte, in der Ukraine statt, wo die Ukrainerinnen und Ukrainer mutig um ihr Leben kämpfen… wo Russlands grundlose Aggression und Putins barbarische Taten ganze Städte und Gemeinden bedrohen… wo die Energiesicherheit, die Ernährungssicherheit und die kollektive Sicherheit der ganzen Welt unter Beschuss stehen… wo unsere gemeinsamen Grundsätze auf dem Spiel stehen.

Heute nimmt dieser Kampf im indopazifischen Raum, in dem mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung und zwei Drittel der Weltwirtschaft leben, eine andere Form an. Dort wird die Zukunft der auf Regeln basierenden internationalen Ordnung geschrieben, dort wird diese Zukunft von Kräften infrage gestellt, die sich gegen das freie Unternehmertum, gegen demokratische Werte und gegen die Menschenrechte stellen.

 

"Deutschland ist für uns als Bündnispartner erste Wahl. Unsere bilateralen Beziehungen sind ein Eckpfeiler des transatlantischen Bündnisses, das in Europa und darüber hinaus eine Quelle der Stabilität ist und bleibt." - Wendy Sherman 

 

Die Frage lautet nun: Wie werden wir als Staats- und Regierungsoberhäupter darauf reagieren? Wie werden wir in unserer Zeit die Freiheit fördern? Mit einem Wort: gemeinsam.

Die Vereinigten Staaten und Deutschland sind durch so vieles miteinander verbunden. Unsere Werte der Offenheit und Demokratie. Unsere Verteidigungspartnerschaft, die zur Gewährleistung unserer gemeinsamen Sicherheit beiträgt. Unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit, die jedes Jahr ein Handelsvolumen von fast 200 Milliarden US-Dollar generiert, die unsere zwischenmenschlichen Beziehungen vertieft und die uns in Bereichen wie Infrastruktur, Gesundheit, Produktion und Verkehr weltweit zusammenbringt.

Deutschland ist für uns als Bündnispartner erste Wahl. Unsere bilateralen Beziehungen sind ein Eckpfeiler des transatlantischen Bündnisses, das in Europa und darüber hinaus eine Quelle der Stabilität ist und bleibt.

Gerade jetzt ist unsere Einigkeit von entscheidender Bedeutung. Sie ist ein Grundpfeiler des internationalen Systems. Sie ist für die Zusammenarbeit mit unseren Partnern im indopazifischen Raum und die Unterstützung ihrer politischen und wirtschaftlichen Sicherheit von entscheidender Bedeutung.

Kurz bevor wir diese Woche nach Europa gereist sind, haben wir, wie Sie alle wissen, auf zwei Veranstaltungen in Washington unsere Einigkeit unter Beweis gestellt. Präsident Biden empfing Präsident Macron zu einem Staatsbesuch, bei dem die Staats- und Regierungschefs unser gemeinsames Engagement im Rahmen der transatlantischen Partnerschaft für einen freien und offenen Indopazifik und unsere gemeinsame Unterstützung für die Freiheit der Schifffahrt, Transparenz und faire Wirtschaftspraktiken bekräftigten. An diesen Tagen, die sehr arbeitsreich waren, habe ich meinen Amtskollegen aus der Europäischen Union im Außenministerium zu Gesprächen zwischen den Vereinigten Staaten und der EU über China und den Indopazifik empfangen.

Nach diesen Gesprächen kann man meiner Meinung nach mit Sicherheit sagen, dass die Vereinigen Staaten und die EU, in der Deutschland eine wichtige Führungsrolle übernimmt, in ihrer Herangehensweise an den indopazifischen Raum noch nie so einig waren wie heute.

Wir haben eine gemeinsame positive Vorstellung von einer freien, offenen, vernetzten und wohlhabenden Region, die widerstandsfähig und sicher ist, und wir arbeiten mit unseren Freunden im indopazifischen Raum zusammen, um dieses Ziel zu erreichen.

Gemeinsam unterstützen wir unsere indopazifischen Partner bei der Gewährleistung ihrer maritimen Sicherheit, der Bekämpfung von Desinformation und der Entwicklung einer hochwertigen und nachhaltigen Infrastruktur. Wir bauen Widerstandsfähigkeit in Bereichen auf, die für die Region von entscheidender Bedeutung sind – Technologie, wirtschaftliche Entwicklung, Regierungsführung, Lieferketten und vieles mehr. Wir arbeiten mit unseren Partnern im Indopazifik zusammen, um gemeinsame Grundsätze und die regionale Architektur des 21. Jahrhunderts zu stärken.

 

"Was für uns alle auf dem Spiel steht, ist das Schicksal und die Sicherheit der regelbasierten internationalen Ordnung, wie wir sie kennen." - Wendy Sherman 

 

Mit Akteuren im indopazifischen Raum sowie mit Deutschland, der Europäischen Union und anderen stimmen wir uns über dringende Angelegenheiten ab, darunter die Gewährleistung einer stabilen Nahrungsmittelversorgung, die Bereitstellung humanitärer Hilfe, eine erschwinglichere Energieversorgung, die Bekämpfung des Klimawandels und die Schaffung gemeinsamen Wohlstands – wichtige gemeinsame Ziele.

Letzten Endes ist die Suche nach Lösungen für diese Fragen der wahre Maßstab für unsere Diplomatie, bei der es darum geht, ob wir Seite an Seite eine bessere Gesundheit, umfassenderes Wachstum, stärkere Normen und eine Zukunft in Freiheit im indopazifischen Raum, in Amerika, Europa und auf der ganzen Welt schaffen können.

Was für uns alle auf dem Spiel steht, ist das Schicksal und die Sicherheit der regelbasierten internationalen Ordnung, wie wir sie kennen. Eine Ordnung, die die Vereinigten Staaten, Deutschland, die transatlantischen Bündnispartner und viele andere nach dem Zweiten Weltkrieg mit aufgebaut, gefestigt und erhalten haben.

Jedem hier ist klar, dass die Volksrepublik China die ernsthafteste langfristige Herausforderung für diese Ordnung darstellt, für das System, das Chinas Aufstieg überhaupt erst ermöglicht hat. Dennoch ist die VR China die einzige Nation, die über die Mittel verfügt, die globalen Normen umzugestalten, und die offensichtlich die Absicht hat, dies auch durchzusetzen.

Die Herangehensweise der Vereinigten Staaten an die VR China beginnt mit klaren Bedingungen. Wir wollen keinen Konflikt und wir provozieren und erwarten auch keinen Konflikt. US-Präsident Biden hat klar zum Ausdruck gebracht, dass wir keinen neuen Kalten Krieg wollen. Allerdings werden wir tatkräftig konkurrieren und gleichzeitig verantwortungsvoll mit unserer Konkurrenz umgehen.

 

"Wir teilen die klare Haltung des Bundeskanzlers, der die Menschenrechtsverletzungen in der VR China verurteilt, die Eskalation in der Straße von Taiwan kritisiert und eine ungerechte Wirtschaftspolitik anprangert." - Wendy Sherman

Als US-Außenminister Blinken im vergangenen Frühjahr unsere umfassenderen Perspektiven für die VR China vorstellte, skizzierte er drei Hauptsäulen: Investition, Abstimmung und Konkurrenz. Die zweite Säule sieht die Abstimmung mit unsren Verbündeten und Partnern hier in Deutschland und insgesamt vor, damit wir unsere gemeinsame Vorstellung umsetzen und gegen schädliche Aktivitäten der VR China vorgehen können. Einfach gesagt: Die Abstimmung mit Partnern wie Deutschland ist nichts, was uns erst bei der Entwicklung der Strategie eingefallen ist. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Strategie.

Deshalb standen unsere beiden Regierungen vor der Reise von Bundeskanzler Scholz nach Peking oder vor dem Treffen von US-Präsident Biden mit Präsident Xi auf dem G-20-Gipfel in engem Kontakt. Wir begrüßen die klaren Botschaften des Bundeskanzlers an die Führung der Volksrepublik China, in denen er sich energisch gegen Russlands Aggression in der Ukraine wendet, Russlands inakzeptables nukleares Säbelrasseln anprangert und der mangelnden Bereitschaft der Volksrepublik China entgegentritt, sich Putins Invasion eines souveränen Landes entgegenzustellen. Wir teilen die klare Haltung des Bundeskanzlers, der die Menschenrechtsverletzungen in der VR China verurteilt, die Eskalation in der Straße von Taiwan kritisiert und eine ungerechte Wirtschaftspolitik anprangert.

Als Präsident Biden auf dem G20-Gipfel mit Präsident Xi zusammentraf, vertrat er ebenfalls eine klare Haltung und sagte deutlich, dass wir immer die amerikanischen Interessen verteidigen, die universellen Menschenrechte fördern und im Gleichschritt mit unseren Verbündeten und Partnern arbeiten werden. Wir werden eine offene Kommunikation mit Peking aufrechterhalten und mit der VR China zusammenarbeiten, wo wir können, um schwierige Probleme zu lösen, die gemeinsames Handeln erfordern.

Wir müssen geschlossen vorgehen. Wir müssen bei jeder Gelegenheit darauf achten, unsere gemeinsamen Interessen und Werte zu wahren, und niemand von uns sollte in Bereichen, die für die Unterstützung unserer Unternehmen oder die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger entscheidend sind, von einem Land abhängig sein. Wir müssen Hand in Hand arbeiten, um der rücksichtslosen, nicht marktwirtschaftlichen Politik der VR China und anderer Länder entgegenzuwirken, die die Sicherheit der Region und den Wohlstand der Erde bedrohen.

 

"Letztendlich läuft es darauf hinaus, dass wir gemeinsam mit Deutschland und anderen Partnern handeln, um die gesamte Bandbreite der von der VR China ausgehenden Herausforderungen zu bewältigen." - Wendy Sherman 

 

Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere wirtschaftliche Überabhängigkeit als Druckmittel gegen uns oder unsere Partner im Indopazifik ausgenutzt wird. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass Peking sein Verhalten ändert, seinen Einsatz von Desinformation rückgängig macht oder seine rücksichtslosen Aktivitäten einstellt. Wir werden nicht schweigen, wenn die VR China im Ost- und Südchinesischen Meer gegen internationale Regeln verstößt, wenn sie in Tibet, Xinjiang und Hongkong gegen Rechte verstößt oder wenn sie in Litauen und anderswo wirtschaftlichen Zwang ausübt.

Letztendlich läuft es darauf hinaus, dass wir gemeinsam mit Deutschland und anderen Partnern handeln, um die gesamte Bandbreite der von der VR China ausgehenden Herausforderungen zu bewältigen.

Aber wir werden unseren Teil dazu beitragen, dass der Wettbewerb nicht in einen Konflikt ausufert. Wir werden unsere Strategie auch weiterhin mit unseren Verbündeten abstimmen und uns dabei stets auf die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des fairen Wettbewerbs stützen und stets für demokratische Normen und die Freiheit des Einzelnen eintreten.

Wissen Sie, es kommt mir vor wie ein Wimpernschlag, dass diese Gruppe von uns vor 35 Jahren in dieser Stadt zusammenkam – und diejenigen, die jünger sind als ich, und das sind so ziemlich alle von Ihnen …. Unser Ziel war es, den Marshallplan zu würdigen, aus den Erfahrungen mit dem Marshallplan zu lernen und sein Vermächtnis fortzuführen.

Aber diese Aufgabe war nie für uns 40 allein gedacht, die wir an einem Jahrestag in Berlin zusammenkamen. Dieses Vermächtnis gehört uns allen, in den Vereinigten Staaten, in Deutschland, auf diesem ganzen Kontinent. Denn letztlich war dieser bahnbrechende Plan mehr als ein Hilfspaket oder eine Investition in den wirtschaftlichen Wiederaufbau oder eine Maßnahme des guten Willens für Nachkriegseuropa.

Er war einer der allerersten Grundpfeiler des transatlantischen Bündnisses. Auf diesem Fundament haben wir die Partnerschaft aufgebaut, die uns bis heute trägt. Es liegt nun in unserer Hand, diese Partnerschaft zu festigen, zu vertiefen und auszubauen.

Für unsere beiden Nationen und unsere Freunde in Europa und im indopazifischen Raum und darüber hinaus, ja für die ganze Welt, müssen wir weiterhin standhaft bleiben, stark sein und gemeinsam für das eintreten, wofür diese Partnerschaft schon immer stand: für eine sicherere, freiere und wohlhabendere Zukunft. Ich danke Ihnen.

Friedrich-Ebert-Stiftung
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