15.03.2023

,,Das ganze System ist in Gefahr"

Ein Bundesrichter wird möglicherweise noch heute über eine Klage entscheiden, die darauf abzielt, die Anwendung medikamentöser Abtreibungen landesweit zu blockieren. Die hier ausstehende Entscheidung kann laut verschiedenen Abtreibungsrechtsorganisationen zu einem der bisher folgenschwersten Urteilen im Zusammenhang mit Abtreibungen, seit der Oberste Gerichtshof im vergangenen Jahr das Roe v. Wade Urteil aufgehoben hat, werden.

Die Klage, die im November von Abtreibungsgegnern gegen die US Food and Drug Administration (FDA) eingereicht wurde, richtet sich gegen die 20 Jahre alte Zulassung von Mifepristone, dem ersten auf dem Markt gewesenen Medikament für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch. Die medikamentöse Abtreibung, die inzwischen die Mehrheit (53% laut dem Guttmacher Institute, einer Abtreibungsrechtsorganisation) der in den USA durchgeführten Abtreibungen ausmacht, ist zu einem besonders brisanten Thema im Abtreibungsrechtsstreit geworden.

US-Bezirksrichter Matthew Kacsmaryk, ein vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump eingestellter streng-konservativer Richter, hatte die Frist für die Einreichung von Schriftsätzen in diesem Fall bis zum 24. Februar verlängert, das heißt eine Entscheidung steht kurz bevor.

Wenn Kacsmaryk sich auf die Seite der Kläger:innen stellt, würde dies laut NARAL Pro-Choice America „Die am häufigsten genutzte Methode der Abtreibungsbehandlung beseitigen und den sofortigen Verlust an Abtreibungsmöglichkeiten für 40 Millionen Amerikanerinnen bedeuten“.

 

Worum geht es in der Klage genau?

Die Klage, die im vergangenen Jahr von einer Koalition aus abtreibungsgegnerischen nationalen Ärzteverbänden unter dem Dach der "Alliance for Hippocratic Medicine" und mehreren Ärzt:innen eingereicht wurde, verlangt vom Gericht eine Reihe von Maßnahmen - darunter vor allem eine einstweilige und dauerhafte Verfügung, mit der die FDA angewiesen wird, "Mifepristone als von der FDA zugelassenes chemisches Abtreibungsmittel zurückzuziehen und die Maßnahmen der Beklagten zur Deregulierung dieses chemischen Abtreibungsmittels zurückzunehmen."

"Nach zwei Jahrzehnten erfolglosen Engagements bei der FDA bitten die Kläger:innen dieses Gericht nun, das zu tun, wozu die FDA rechtlich verpflichtet war und ist: Frauen und Mädchen zu schützen, indem sie die Maßnahmen der FDA zur Zulassung chemischer Abtreibungsmittel für rechtswidrig erklärt, aufhebt und entscheidende Sicherheitsvorkehrungen für diejenigen, die sich diesem gefährlichen Medikamentenregime unterziehen, aushöhlt", heißt es in der Klage.

 

Was sagt die FDA?

Die FDA reagierte auf die Klage im vergangenen Monat, indem sie den Richter aufforderte, den Antrag auf eine einstweilige Verfügung abzulehnen, mit dem Argument, dass der Erlass einer solchen in dieser Angelegenheit "den Status quo und die Vertrauensinteressen von Patient:innen und Ärzt:innen, die auf Mifepristone angewiesen sind, sowie von Unternehmen, die mit dem Vertrieb von Mifepristone zu tun haben, umstoßen würde".

Die FDA sagt auch, dass eine Entscheidung gegen sie einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen würde. "Allgemeiner ausgedrückt: Wenn langjährige FDA-Zulassungen von Arzneimitteln so einfach aufgehoben würden, selbst Jahrzehnte nach ihrer Erteilung, könnten sich Pharmaunternehmen nicht mehr vertrauensvoll auf FDA Zulassungsentscheidungen verlassen, um die pharmazeutisch-medikamentöse Infrastruktur zu entwickeln, auf die Amerikaner:innen zur Behandlung einer Vielzahl von Gesundheitszuständen angewiesen sind", schrieb die FDA.

"Eine einstweilige Verfügung würde in die Entscheidung des Kongresses eingreifen, die FDA mit der Verantwortung zu betrauen, die Sicherheit und Wirksamkeit von Medikamenten zu gewährleisten. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe wendet die FDA ihr technisches Fachwissen an, um komplexe wissenschaftliche Feststellungen über die Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln zu treffen, und diese Feststellungen sind in hohem Maße zu respektieren“.

 

Wer ist der Richter in diesem Fall?

Kacsmaryk wurde 2017 vom damaligen Präsidenten Trump an das Gericht berufen und 2019 mit 52:46 Stimmen bestätigt. Seitdem hat er dazu beigetragen, Texas zu einem „juristischen Friedhof“ für die Politik der Regierung von Präsident Joe Biden zu machen, indem er den Vorsitz über 95 % der Zivilprozesse in Amarillo, Texas, führte.

Im Dezember stoppte Kacsmaryk den jüngsten Versuch der Biden-Regierung, das so genannte "Remain in Mexico"-Programm zu beenden. Außerdem hat er in Texas Fälle betreut, in denen es um die Anfechtung von Impfvorschriften, die von der US Equal Employment Opportunity Commission herausgegebenen Richtlinien zur Geschlechtsidentität und die Beschränkung der Verwendung von Covid-19-Hilfsgeldern für Steuersenkungen durch die Regierung ging.

Bevor er zum Gericht kam, war Kacsmaryk stellvertretender Rechtsberater beim First Liberty Institute, einer gemeinnützigen Rechtsgruppe für Religionsfreiheit.

 

Was passiert, wenn für ein Verbot von Mifepristone entschieden wird?

Sobald das Urteil fallen würde, müssten "Arzneimittelhersteller und -händler:innen den Verkauf und Versand von Mifepristone für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch sofort einstellen", erklärt Jenny Ma, Senior Counsel beim Center for Reproductive Rights, und fügte hinzu, dass die Klage "das gesamte FDA-Zulassungsverfahren untergräbt".

Im Rahmen des derzeitigen Zwei-Präparate-Protokolls für Abtreibungen nehmen Patient:innen zunächst Mifepristone ein, das Progesteron blockiert, ein Hormon, das den Fortgang der Schwangerschaft fördert. In Verbindung mit Misoprostol, einem anderen Medikament, das den Gebärmutterhals erweicht und die Wehen auslöst, ist die kombinierte medikamentöse Abtreibungsbehandlung in den ersten neun Wochen der Schwangerschaft zu mehr als 90 Prozent wirksam.

Ein solches Zwei-Präparate Protokoll macht laut dem Guttmacher Institute momentan 98% aller medikamentösen Abtreibungen in den USA aus. Wenn der Richter die Genehmigung Mifepristones und somit auch dieses Protokolls aufhebt, können Kliniken ihren Patientinnen nur noch entweder einen chirurgischen Abbruch oder Misoprostol allein anbieten. Misoprostol wäre zwar auch dann noch für medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche verfügbar, wenn die Klage Erfolg hätte, aber es ist allein nicht annähernd so wirksam und zieht laut mehreren Studien mehr Nebenwirkungen wie Krämpfe und länger anhaltende Nachblutungen mit sich – manchmal mehrere Tage lang. Abgesehen von den negativen körperlichen Auswirkungen, stellt dies eine neue Hürde für eine bestimmte Gruppe an Patientinnen da: Die, die aus Staaten, in denen es keine Abtreibungsmöglichkeiten gibt, in andere Staaten reisen und aus finanziellen oder familiären Gründen eine Abtreibung so schnell und heimlich wie möglich durchführen müssen.

Dr. Ushma Upadhyay, Public Health Professor an der University of California, sieht durch die Abschaffung von Mifepristone schwierige Entscheidungen für Ärzt:innen und Patient:innen in der Zukunft, insbesondere für diejenigen, die aus Staaten kommen, in denen Abtreibung illegal ist: "Ich denke, dass es für die Ärzte eine enorme Lernkurve sein wird, herauszufinden, was das Beste, richtige Protokoll für eine solche Patientin ist. Wie sollte ich diese spezielle Patientin beraten, basierend auf ihren rechtlichen Risiken und darauf, wie weit sie gereist ist, um hierher zu kommen?"

Einige Abtreibungrechtsorganisationen weisen darauf hin, dass sie, auch im Falle des Verlusts des FDA Approvals für Mifepristone Wege finden könnten und würden um das Medikament weiter für ihre Patientinnen bereitzustellen, etwa durch Kooperationen mit anderen Abtreibungsrechtsorganisationen aus Mexiko – Rechtsexpert:innen warnen jedoch, dass das die Organisationen und mit ihnen in Verbindung stehende Ärzt:innen in Gefahr bringen kann rechtlich belangt zu werden.

 

Was sagen beide Seiten?

Konservative Republikaner:innen und Anti-Abtreibungsorganisationen hoffen natürlich, dass Mifepristone das FDA Approval entzogen wird. Eine Koalition von 22 republikanischen Generalstaatsanwält:innen bat das Gericht beispielsweise ausdrücklich, die einstweilige Verfügung zu erlassen, da die FDA laut ihnen ihre Befugnisse überschritten habe, als sie das Medikament genehmigte.

Vizepräsidentin Kamala Harris dagegen versprach am Freitag, dass die Biden Regierung die Bemühungen um ein Verbot des Medikaments zurückdrängen werde, als sie eine Gruppe von fast einem Dutzend Ärzt:innen und Befürworter:innen von Abtreibungsrechten versammelte, um einen Plan zu erörtern, wie auf die drohende Gefahr für den Zugang zu medizinischen Abtreibungen reagiert werden kann. Konkrete Ergebnisse wurden hierzu bisher (Stand Freitag, 24.02) noch nicht veröffentlicht. Ms. Harris bezeichnete den Fall jedoch deutlich als "Einen Angriff auf das Fundament unseres öffentlichen Gesundheitssystems".

Ihr Kommentar spielt auf einen weiteren Aspekt an – die möglichen Konsequenzen dieses Rulings, die weiterreichen als eingeschränkter Zugang zu Schwangerschaftsabbruchsmitteln: 

"Ich würde darauf wetten, dass, wenn dieser Fall gewonnen wird, es [neue Klagen] für die Pille geben wird. Man kann auf Blutgerinnsel und ähnliches bei der Pille verweisen", sagt Charles Seife, ein Professor für Journalismus an der New York University, der über die aktuellen Entwicklungen im Fall berichtet. "Man kann also mit der gleichen Art von Argumenten kommen, einfach ausschneiden und einfügen."

Auch Abtreibungsrechtsorganisationen schlagen laut Alarm: "Wenn sie auf Mifepristone abzielen, glauben Sie mir, dann zielen sie auch bald auf Misoprostol ab. Es wird nicht bei dem einen Medikament bleiben", sagt Dr. Jamila Perritt, Präsident:in und CEO von Physicians for Reproductive Health. "Und so ist das ganze System in Gefahr."

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