22.07.2021

Deutschland, die USA und Nord Stream 2

Deutschland und die USA gehen sehr unterschiedlich an den Energiehandel von Russland mit Europa heran, wodurch Nord Stream 2, die inzwischen fast fertiggestellte unterseeische Erdgasleitung zwischen Russland und Deutschland, zu einem großen Streitpunkt geworden ist.

 

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Deutschland importiert seit über einem halben Jahrhundert sowjetisches und russisches Erdgas, trotz der Spannungen während und nach dem kalten krieg. Befürworter der Nord Stream 2-Pipeline führen an, dass eine tiefere wechselseitige Abhängigkeit im Energiebereich Teil des Erfolgsrezepts für eine effektive Einbindung Russlands und die Verhinderung künftiger konflikte sein kann. Sie sehen das Projekt als Bestandteil einer europäischen Energiestrategie, die auch den Gastransit durch die Ukraine, erhöhte Importe von verflüssigtem Erdgas und eine viel stärkere Abhängigkeit von erneuerbaren Energiequellen umfasst. Manche Stimmen wenden sich auch direkt gegen den Druck der USA auf NS2 als Verletzung der europäischen Souveränität und warnen davor, dass Washingtons Politik langfristig der transatlantischen Einheit schaden und Europa zwingen könnte, seine eigenen wirtschaftlichen Druckmittel zu entwickeln.

Die Gegner des Vorhabens betrachten NS2 als ein rein geopolitisches kreml-Projekt, das darauf abzielt, die Ukraine von der europäischen Energielandkarte zu streichen und den russischen Einfluss auf Deutschland und den Rest Europas zu erhöhen. Führende Politiker beider Parteien in Washington teilen diese Besorgnis und haben damit gedroht, Sanktionen gegen die deutschen und alle anderen europäischen Firmen zu verhängen, die sich an der Fertigstellung der Pipeline beteiligen. US-Beamte haben NS2 als »Unterstützung und Begünstigung von Russlands Projekten mit bösartigem Einfluss« bezeichnet und in der Ukraine wird die Pipeline als »existenzielle Bedrohung« für die Demokratie wahrgenommen. Die Verfasser aktueller und drohender Sanktionsgesetze räumen ein, dass die Sanktionen darauf abzielen, eine Nullsummenentscheidung zu erzwingen: Entweder man beteiligt sich an dem Projekt oder man macht Geschäfte mit den Vereinigten Staaten.

Obwohl es in Washington eine starke parteiübergreifende Unterstützung für die NS2-Sanktionen gibt, besteht auch die Hoffnung, dass die neue Biden-Harris-Regierung im Jahr 2021 einer für beide Seiten vorteilhaften Lösung den Weg ebnet. Obwohl Präsident Biden wahrscheinlich die starken US-Beziehungen zu traditionellen europäischen Verbündeten, insbesondere Deutschland, erneut betonen wird, hat er NS2 als »grundsätzlich schlechtes Geschäft« bezeichnet und wird seinen Widerstand wahrscheinlich nicht aufgeben. Unterdessen gibt es in Deutschland die Sorge, dass die US-Wahlen im Jahr 2024 und in fernerer Zukunft eine weniger versöhnliche Politik mit sich bringen könnten. Beide Seiten sind sich einig, dass eine fortgesetzte Unterstützung der Ukraine und Investitionen in die Energiediversifizierung für ganz Europa wünschenswert sind, doch die Sackgasse bei der Fertigstellung der Pipeline selbst bleibt von den Sanktionen überschattet.

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