Kanadas Sozialdemokraten bestimmen Parteivorsitzenden durch Urwahl
Der Spitzenkandidat wurde das erste Mal durch eine reine Urwahl bestimmt. Jedes Parteimitglied hatte dabei die Möglichkeit, sich zur Wahl stellen zu lassen und durch Fundraising Mittel für den eigenen Wahlkampf einzuwerben sowie Unterstützer zu gewinnen. Diese wurden nicht nur parteiintern gesucht: Die Wahl eines Parteivorsitzenden ist in Kanada immer ein wichtiger Zeitpunkt, um neue Parteimitglieder zu rekrutieren. Es wird traditionell in mehreren Wahlgängen gewählt, wobei der schlechteste Kandidat jedes Wahlgangs ausscheidet und andere Kandidaten ihre Kandidatur freiwillig zurückziehen können, bis schließlich ein Kandidat die absolute Mehrheit gewinnt.
Sieben Kandidaten stellten sich 2012 zur Wahl. Es gelang Thomas Mulcair, sich im vierten Wahlgang mit gut 57% der Stimmen gegen seinen engsten Kontrahenten, Brian Topp, durchzusetzen. Die Wahl schleppte sich jedoch über Stunden hin, denn Cyber-Angriffe legten die Website lahm, über die gewählt wurde. So konnte der geplante Vorabendtermin nicht erreicht werden. Bisher wurden die Verursacher der Online-Attacken noch nicht identifiziert.
Es ging bei dieser Wahl jedoch nicht nur um einen neuen Parteivorsitzenden. Noch wichtiger war die Entscheidung über die Ausrichtung der Partei, die mit der Wahl der Kandidaten verbunden war: linkes Erbe in Oppositionsmodus versus Öffnung zur Mitte, inklusive dem Willen zu regieren. Mit Thomas Mulcair hat sich der Flügel der Partei, der für eine Reform steht, deutlich durchgesetzt. Mulcair steht außerdem für den bilingualen und -kulturellen Kanadier, der die franko- sowie anglophone Seite in sich vereinigt – ein Muss nach dem Wahlerfolg der NDP bei der Bundeswahl 2011 in der Provinz Quebec. Auch trauen ihm viele die nötige Bissigkeit zu, um nicht Opfer der zu erwartenden Verleumdungsattacken der konservativen Regierung zu werden.
Im engeren Kreis der Partei wird jedoch nicht nur freundlich über Mulcair geredet. Viele kreiden ihm an, dass er bis 2007 für die liberale Partei im Parlament Quebecs saß. Seine Absichten, den Wählerkreis zu vergrößern, werden als Verrat an den Idealen der Partei interpretiert und ihm wird vorgeworfen, ein aufbrausendes bis jähzorniges Temperament zu haben.
Direkt nach der Wahl hat sich die Partei – inklusive Mulcairs größten Widersachern – geschlossen hinter ihn gestellt. Mit Spannung wird nun der erste Schlagabtausch Mulcairs mit Premierminister Stephen Harper im Parlament erwartet.
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