03.07.2023

Progressiver Sieg in Toronto

Toronto hat kürzlich eine sozialdemokratische Bürgermeisterin gewählt - die erste progressive Amtsinhaberin in Kanadas größter Stadt seit 13 Jahren.


Im Februar 2023 gab der amtierende Bürgermeister von Toronto, John Tory, auf einer Pressekonferenz überraschend seinen Rücktritt bekannt und begründete dies mit einer langjährigen heimlichen Affäre mit einer Mitarbeiterin. Der Schritt schockierte die Beobachter im Rathaus der größten kanadischen Stadt. Tory war ein beliebter konservativer Politiker der Mitte, der gerade seine dritte, ereignislose Amtszeit als Bürgermeister begonnen hatte. 

Sein plötzlicher Rücktritt stürzte die Stadt in einem entscheidenden Moment in eine Nachwahl zum Bürgermeister. 

Toronto ist mit seinen 3 Millionen Einwohner*innen die größte und vielfältigste Stadt Kanadas. Mehr als die Hälfte der Torontoer gehören sichtbaren Minderheiten an, und 47 % der Stadtbevölkerung sind nach Kanada eingewandert. 

In den letzten Jahren sind die Wohnkosten in Toronto in die Höhe geschnellt, und die Löhne halten damit nicht Schritt. Für junge Leute wird es immer schwieriger, in der Stadt eine Mietwohnung zu finden, geschweige denn ein Haus zu kaufen. Der öffentliche Nahverkehr ist überfüllt und kläglich unterfinanziert, und die Gewaltverbrechen nehmen zu.

Bei den Nachwahlen traten mehr als 100 Kandidat*innen für das Amt der/s Bürgermeister*in an. Die Kräfte der Mitte und der rechten Mitte waren gespalten, während sich die linke Mitte um Olivia Chow scharte, eine bekannte sozialdemokratische Politikerin und Organisatorin, die bereits 2014 als Bürgermeisterin kandidiert und verloren hatte. 

Chow wurde in Hongkong geboren und wanderte im Alter von 13 Jahren nach Kanada aus. Sie wurde 1985 zum ersten Mal in das Kuratorium einer Schule gewählt, war von 1992 bis 2005 Stadträtin in Toronto und von 2006 bis 2014 Parlamentsabgeordnete der Neuen Demokratischen Partei (NDP) für den Wahlkreis Trinity-Spadina (ein Bundeswahlkreis in Toronto). Neben ihren eigenen Erfolgen ist sie auch als Ehefrau des 2011 verstorbenen populären NDP-Vorsitzenden Jack Layton bekannt.

Ihr Wahlkampf konzentrierte sich auf die Erschwinglichkeit von Wohnraum und zielte vor allem auf die Hälfte der Stadtbevölkerung ab, die zur Miete wohnt. Chow versprach, die Mietzuschläge zu erhöhen, erschwingliche Wohnungen zu bauen, wieder in den öffentlichen Nahverkehr zu investieren und die Krisenhilfe für psychisch Kranke auszubauen, um Anrufe von der Polizei abzuwenden.  Während des Wahlkampfs legte sie kein vollständig kalkuliertes Programm vor und lehnte es ab, zu sagen, um wie viel sie die Grundsteuern erhöhen würde. Sie sagte nur, dass jede Erhöhung "angemessen" sein würde. 

Die Bewohner*inner Torontos wollten Veränderungen, und Chows Angebot und ihr hoher Bekanntheitsgrad machten sie sofort zur Spitzenkandidatin. Ihr Team führte einen disziplinierten Wahlkampf, der sich auf ihre Stärken als Kandidatin konzentrierte - ihre persönliche Geschichte, ihre Verbundenheit mit den Realitäten der Menschen im Alltag und ihre Fähigkeit, Dinge ohne Umschweife durchzusetzen. 

Am 26. Juni errang Chow einen knappen Sieg mit 30.000 Stimmen mehr als ihr Konkurrent. Chow wird die erste Bürgermeisterin in der Geschichte Torontos sein, die eine andere Hautfarbe hat, und überhaupt erst die dritte Frau in dem Amt. Ihre verkürzte Amtszeit läuft bis 2025, wenn sie sich den Parlamentswahlen stellen muss. Ihr Sieg gibt den progressiven Kräften in Kanada einen wichtigen Auftrieb und eine öffentlichkeitswirksame Plattform für die kommenden Jahre zu Themen, die für normale Menschen von entscheidender Bedeutung sind.

photo credits: Ian Willms/Getty Images

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