01.11.2012

Das Rennen vor dem Startschuss

Die ganze Welt schaut auf den „E-Day“, den Election Day am 6. November. Über 230 Millionen Wähler in 50 Staaten und sechs Zeitzonen sind dann aufgerufen, ihre Stimme für die Wahl zum mächtigsten Amt der Welt abzugeben. Dabei hat – im Schatten letzter Wahlkampfveranstaltungen und den Aufräumarbeiten von Hurrikan Sandy – die Entscheidung längst begonnen. „Early Voting“ heißen die Zauberworte der Wahlkampfstrategen, die auf dem Weg ins Weiße Haus eine entscheidende Rolle spielen. Damit möglichst nichts dem Zufall überlassen bleibt, motivieren beide Parteien ihre Anhänger, bereits vor dem 6. November ihre Stimme abzugeben. Kostenlose Wahltaxis werden angeboten, ganze Busse fahren die Wähler direkt nach Wahlveranstaltungen zu bereits jetzt geöffneten Wahllokalen, Telefonanrufe fordern zum vorzeitigen Urnengang auf.

Die intensiven Bemühungen beider Kampagnen sind auf zwei Umstände zurückzuführen, die aus dem Werben über mehrere Millionen Stimmen den Kampf um einige zehntausend Wähler machen können. Erstens machen die aktuellen Umfragen ein Szenario wahrscheinlich, bei dem den drei Staaten Ohio, Florida und Virginia die entscheidende Rolle zukommt. Der Weg zur Mehrheit von 270 Wahlfrauen und -männern im „Electoral College“ dürfte für beide Kandidaten über diese „battleground states“ führen. Gewinnt Obama zwei der drei Staaten, wird ihm eine Wiederwahl kaum zu nehmen sein. Gehen Florida und Virginia oder Ohio an Romney, dann könnte der Herausforderer – entgegen allen Mutmaßungen der letzten Wochen – Obama noch auf der Zielgeraden abfangen. Wenige Stimmen Differenz in diesen drei Staaten könnten am Ende den gesamten Wahlausgang entscheiden – völlig unabhängig davon, wie die Mobilisierung der Wähler in den Hochburgen beider Kandidaten gelingt.

Zweitens ist der Wahlgang für viele Amerikaner alles andere als üblich. Vor vier Jahren beteiligten sich laut U.S. Census nur 64 Prozent der wahlberechtigten US-Amerikaner an der Präsidentschaftswahl, bei der Wiederwahl Bill Clintons 1996 waren es sogar nur 49,1 Prozent. Ein scheinbar komfortabler Vorsprung in den Umfragen kann sich bei einer zurückhaltenden Beteiligung der eigenen Klientel am Wahlabend in Luft auflösen. Unter dem Eindruck eines Wahlkampfs, in dem beide Kandidaten bei den eigenen Anhängern auf Vorbehalte stoßen, wird deshalb der Kandidat gewinnen, der am besten potentielle Unterstützer in aktive Wähler verwandelt. Dabei haben es vor allem die Anhänger der Demokraten ungleich schwerer: Gerade für Einwanderer gerät die Stimmabgabe zum Problem, versuchen doch einige republikanische Staaten eine Identifizierungspflicht (ID) bei der Stimmabgabe zu etablieren, die ansonsten in den USA weitgehend unüblich ist. Beim Fehlen von offiziellen Papieren kann die Beantragung eines Passes zu einem Formular-Marathon werden, der zum Beispiel bei einer fehlenden Geburtsurkunde nur mit sehr großem Aufwand zu bewältigen ist. Nicht ohne Grund monieren die Demokraten, dass gerade ihrer Wählerklientel die Stimmabgabe künstlich erschwert werden soll. Dass beispielsweise das republikanisch dominierte Parlament des „Swing States“ Florida die ID-Pflicht für kommende Wahlen drastisch verschärfen will, kann kaum ein Zufall sein.

Auch der Wahltag selbst gerät für viele Menschen zur Geduldsprobe. Am frühen Morgen und nach Feierabend bilden sich lange Schlangen vor den Wahllokalen, so dass für den Urnengang mehrere Stunden eingeplant werden müssen – an einem Arbeitstag, der für viele ohnehin stundenlange Pendelfahrten in die Ballungsräume erfordert. Zu schlechtes oder zu gutes Wetter, so die Befürchtung, könnte viele Wähler fernhalten, zumal sich die Begeisterung für Obama im Vergleich zu 2008 in Grenzen hält. Die Wähler auf konservativer Seite sind dagegen traditionell deutlich disziplinierter, was sich als Vorteil für den Herausforderer erweisen könnte. Eine aktuelle Studie der Harvard University, die das Wahlverhalten der Bevölkerung zwischen 18 und 29 Jahren untersucht, belegt diesen Trend. Zwar liegt Barack Obama mit 55 Prozent zu 36 Prozent bei den wahrscheinlichen Wählern deutlich vor Mitt Romney und hat auch in den „Swing States“ einen Vorsprung von 16 Prozentpunkten bei dieser Wählergruppe, allerdings gaben nur 55 Prozent an, auf jeden Fall wählen zu gehen, während Romney-Unterstützer ihren Urnengang bereits zu 65 Prozent fest im Blick haben. Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center zeigen einen ähnlichen Trend für alle Altersgruppen. 88 Prozent der Romney-Unterstützer gaben in einer neuen Umfrage an, in jedem Fall wählen gehen zu wollen – Obama erreicht mit seinen Unterstützern lediglich einen Wert von 83 Prozent. 

Besonders bei den Demokraten läuft die Mobilisierungs-Maschinerie deshalb bereits auf Hochtouren. „Securing the vote“ heißt die abschließende Phase der „Grassroot-Campaigner“, die sich jetzt auf die entscheidenden Staaten konzentrieren. In den Tagen vor der Wahl soll es fast ausschließlich um die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft gehen. Dabei entscheiden die einzelnen Bundesstaaten über die Rahmenbedingungen des vorzeitigen Wählens. Während die Wähler in Virginia einen Grund vorweisen müssen, um eher an die Urne treten zu können (dabei reicht es, den Arbeitsplatz außerhalb des Wahlbezirkes zu haben), gibt es in Wisconsin sogar die Möglichkeit, per Email zu wählen und somit das (allerdings durch das Verfassungsgericht verworfene) Identifizierungsgesetz zu umgehen. Nachdem in Ohio das republikanische Parlament das „Early Voting“ am Wochenende vor der Wahl auf Militärangehörige beschränken wollte – den Tagen, an dem die Demokraten traditionell einen Fahrservice für ärmere Wahlberechtigte anbieten – hat das Verfassungsgericht in Washington die Regelung gekippt und allen Wählern die persönliche Stimmabgabe vor dem 6. November erlaubt. Bislang haben bereits knapp ein Fünftel der Wähler, die ihre Stimme abgeben wollen, Gebrauch vom „Early Voting“ gemacht.

Jüngste Erhebungen zeigen, dass Obama zumindest in den „Swing States“ die Nase bei den Frühwählern vorne behält. Vor allem in Florida beteiligten sich überproportional Afroamerikaner und Hispanics am „Early Voting“, also Wählergruppen, die mit großer Mehrheit den amtierenden Präsidenten unterstützen. In North Carolina, einem Staat, den Obama 2008 mit nur 14.000 Stimmen Vorsprung gewann, sind sieben Tage vor der Wahl bereits über 80.000 mehr Afroamerikaner an die Urnen gegangen, als zum gleichen Zeitpunkt 2008. Bislang sieht es so aus, als ob der Kampf um das Weiße Haus am 6. November äußerst eng wird – das Rennen um die entscheidenden Stimmen hat deshalb längst begonnen.

Christian Büchter studiert an der Universität Potsdam und hospitiert derzeit bei der FES in Washington, DC. Der Artikel spiegelt die persönliche Meinung des Verfassers wider.

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