09.09.2013

Die Syrien-Debatte in den USA

Noch immer wird spekuliert, warum Präsident Obama Ende August plötzlich den Kongress in die Entscheidungsfindung über einen Militärschlag gegen das syrische Regime einbezogen hat. Einige Kritiker werfen ihm vor, sich angesichts eigener Skepsis und eigenen Zögerns einen Vorwand für ein Nicht-Eingreifen schaffen zu wollen. Andere betonen, dass es für Obama ein ebenso gewagter und potentiell kostenträchtiger wie geschickter und notwendiger Schachzug war. Er hat damit dem in den letzten Jahrzehnten gewachsenen Gewicht des Kongresses Rechnung getragen, seine republikanischen Widersacher gezwungen, ihre Karten auf den Tisch zu legen und die Chance eröffnet, angesichts großer Widerstände und tiefer Skepsis im Kongress und im Land dennoch eine geeinte Front aufzubauen.

Die Entscheidung über einen Militärschlag gegen das Assad-Regime wird als Wendepunkt empfunden, der nicht nur die zweite Amtszeit Präsident Obamas, sondern auch die zukünftige Rolle Amerikas nachhaltig prägen könnte. Viel wird über Obamas Führungsqualitäten spekuliert, womit weniger seine Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, als seine Überzeugungskraft gemeint ist. Amerikas Geschichte lehrt jedoch, dass die Macht von Präsidenten, andere zu überreden, oft überschätzt wird. Die als „führungsstark“ geltenden Präsidenten wie Franklin Roosevelt, Lyndon Johnson und Ronald Reagan haben sich weniger durch ihre Fähigkeit andere zu überzeugen ausgezeichnet, als durch ihre geschickte Nutzung von im Land bereits vorhandenen  Grundströmungen. Obama steht in den kommenden Tagen vor einer großen Herausforderung, denn die aktuelle Grundströmung – geprägt durch Sorgen wegen der unberechenbaren Konsequenzen und Kosten einer neuen militärischen Intervention – steht der von Obama angestrebten Entscheidung eher entgegen.

Die aktuelle Lage stellt sich wie folgt dar:
Der Auswärtige Ausschuss des Senats hat am 4. September mit einem 10 : 7 Votum einen begrenzten Militärschlag gegen Assad gebilligt. Ein parteiübergreifender Konsens zeichnet sich aber nicht ab. Wie schon im Auswärtigen Ausschuss, wo einige Demokraten gegen und einige Republikaner für die Resolution stimmten, ist der Kongress gespalten, aber nicht entlang der üblichen Partei-Linien.

  • Unterstützt wird der Präsident von führenden Demokaten wie der Oppositionsführerin Nancy Pelosi sowie von traditionellen "hawks" auf republikanischer Seite (wie John McCain) und den als eher moderat geltenden Republikanern wie dem Sprecher des Repräsentantenhauses John Bohener. Sie sehen amerikanische Interessen nachhaltig tangiert, wenn in einer de facto anarchischen Welt mit ihren fragilen Rechten und Abkommen zentrale internationale Normen eklatant verletzt werden und diese Verletzung von den USA nicht mit Nachdruck geahndet wird. Damit nimmt amerik-anische Autorität und Glaubwürdigkeit und mit ihr die Führungs- und Gestaltungmacht der USA nachhaltig Schaden, was sich wiederum auf die Risikokalkulation von Staaten wie Nord Korea und Iran auswirken wird. 
  • Libertäre, zu isolationistischer Politik neigende Republikaner hingegen – darunter die Senatoren Marco  Rubio und Rand Paul mit Ambitionen auf das Präsidentschaftsamt – sehen amerikanische Sicherheit nicht gefährdet und lehnen einen Militärschlag ab, dito all die rabiat-rechten, der Tea Party verpflichten Abgeordneten, die sich unter allen Umständen weigern, Präsident Obama zu unterstützen. Ablehnung signalisieren aber auch linke Demokraten, die einen weiteren Krieg u.a. wegen der fehlenden internationalen Zustimmung und der Sorge vor unberechenbaren Auswirkungen in Syrien und in der gesamten Region für falsch halten. Kritiker verweigern ihre Zustimmung auch, weil (bzw. so lange wie) die den Analysen über den Giftgas-Einsatz zugrunde liegenden Daten nicht besser zugänglich gemacht werden.
  • Befürworter wie Gegner üben Kritik an unklaren Ziele und Strategien. Sie verweisen auf Äußerungen von Obama wie "Assad muss gehen" und "der Einsatz von Chemiewaffen verletzt eine rote Linie", die ohne Strategie  oder gar klare Intention ihrer Durchsetzung gemacht worden sind. Was, fragen alle, ist mit "limited military action" wirklich gemeint?
  • Einigkeit besteht nur darüber, dass keine US-Bodentruppen eingesetzt werden sollen. Nichts desto trotz haben viele Sorge, dass es zu "mission creep" kommen könnte, sprich einer schleichende Ausdehnung des Militäreinsatzes. Beobachter vermerken bereits jetzt,
  1. dass anfangs von einem Raketeneinsatz die Rede war, nun aber auch von der Air Force,
  2. dass die zunächst mit 50 angegebene Zahl der Ziele sich wegen der Verlegung von Truppen und Waffen des Assad Regimes bereits erhöht hat,
  3. dass nicht mehr nur von der Notwendigkeit der Abschreckung durch einen "chirurgischen Eingriff" die Rede ist, sondern als Ziel der Mission nun angegeben wird, die Fähigkeit des syrischen Militärs zu schwächen, chemische Waffen erneut einzusetzen („degrade").
  4. Unklar ist zudem, welche Zugeständnisse – z.B. gegenüber John McCain, der vehement für den Einsatz militärischer Mittel zu Gunsten der syrischen Opposition eintritt – den US-Einsatz in welcher Weise beeinflussen werden.
  5. Beobachter sehen folgende Eskalationsmöglichkeiten und -stufen: (1) eine rein auf Abschreckung begrenzte Strafaktion, (2) ein auch auf "delivery systems" für chemische Waffen ausgedehnter Militäreinsatz, (3) eine Erhöhung der Quantität und Qualität amerikanischer Waffenlieferungen an die syrische Opposition, (4) die Einrichtung einer Flugverbotszone und (5) die Einrichtung von "safe havens". Die Unklarheit darüber, ob und was die USA tun werden, hat ihrerseits nachhaltige Wirkung, weil sie die Hoffnung der syrischen Opposition auf militärische Unterstützung am Leben hält.

In der schwierigen Entscheidungsfindung spielen neben Fragen der Loyalität oder Opposition gegenüber dem Präsidenten folgende Faktoren eine zentrale Rolle:

  • die in allen Umfragen deutlich werdende Ablehnung der ausgeprägt kriegsmüden amerikanischen Bevölkerung (die sich in etwa 2:1 gegen einen Militärschlag äußert).
  • die Erinnerung an die auf Falschaussagen basierende Entscheidung für den Irak-Krieg, der nun alle mit großer Skepsis auf die von der Obama Administration präsentierten Fakten sehen lässt. Kritik wird daran geübt, dass zu viele Quellen der Geheimhaltung unterliegen, zu viele zentrale Informationen nur hinter verschlossenen Türen diskutiert werden, und damit eine kritische Evaluierung und Verifizierung extrem erschwert wird.
  • der schwierige Versuch der Senatoren und Abgeordneten, die möglichen langfristigen Folgen von Abstimmungsverhalten für oder gegen eine militärische Intervention einzuschätzen. Ihnen ist mehr als bewusst, dass von politischen Gegnern wie von Konkurrenten aus der eignen Partei Entscheidungen später genutzt werden können, um Wahlchancen zu minimieren.

Der Ausgang der Abstimmung im Kongress ist offen. Ohne Frage werden Erfolg oder Scheitern gravierende Auswirkungen auf Obamas weitere Präsidentschaft haben.  Wird ihm Unterstützung verweigert, signalisiert dies seine Isolierung und eine erhebliche Schwächung seiner Autorität – der Oberkomman-dierende steht als jemand da, der die Lage nicht unter Kontrolle hat. In seiner Funktion als Oberbefehlshaber kann Präsident Obama auch bei einem negativen Votum einen begrenzten Militärschlag anordnen, aber eine Entscheidung gegen den Willen der Mehrheit im Kongress und im Land könnte viele negative Folgen haben und u.a. Bemühungen für eine Amtsenthebung auslösen. Angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse wäre dies wahrscheinlich nicht erfolgreich, würde Obama aber  in den letzten drei Amtsjahren erheblich belasten und einschränken. Ohne Frage würde er in Bezug auf andere zentrale innen- und außenpolitische Fragen deutlich zurückhaltender und zögerlicher agieren.

Wenn der Kongress Obamas Kurs zustimmt, wird auch dies in einer noch schwer kalkulierbaren Weise die Präsidentschaft Obamas beeinflussen, u.a. weil ihm möglicherweise in anderen wichtigen Fragen wie dem U.S. Haushalt und der Einwanderungsgesetzgebung Zugeständnisse von den Republikaner abgerungen werden. Da so viel von der Entscheidung abhängt, ist der Lobby-Einsatz der Obama Administration hoch. Wer mit "nein" stimme, argumentieren Vertreter der Regierung, schwäche die Führungsrolle der USA. Er/sie signalisiere damit zugleich, dass ihm/ihr der Schutz Israels nichts bedeute. Der Iran werde ein "Nein" falsch interpretieren. Aber nicht nur für den Präsidenten steht viel auf dem Spiel. Mit einem Nein verabschiedet sich der Kongress möglicherweise auf absehbare Zeit aus der Außenpolitik, denn der Präsident wird sich dann noch mehr auf seinen eignen "inner circle" stützen. 

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