Der vor 231 Jahren gegründete US-Kongress hat sich nach der Wahl im November letzen Jahres am 3. Januar zum 117. Mal neu zusammengesetzt. Dabei gab es entscheidende Veränderungen in beiden Kammern des Kongresses, die für die ambitionierte Agenda Bidens von Vorteil aber auch von Nachteil sein können.
Mit der Wahl Joe Bidens zum neuen Präsidenten gab es Hoffnungen auf eine Rückkehr zu einer ‘gewissen’ Normalität des politischen Alltags. Doch der 6. Januar und der von Trump und seinen engsten Komplizen, wie dem ehemaligen Bürgermeister von New York Rudi Giuliani, ganz offen angezettelte Putschversuch zeigte deutlich, dass das Land vorerst nicht zur Ruhe kommen wird. Da zerlegt sich die Republikanische Partei lieber selbst, als dass sie Befürworter von Rechtsextremismus und Anti-Semitismus aus ihren eigenen Reihen im Kongress verbannt oder Trump tatsächlich wegen des Aufrufs zum Putschversuch verurteilt.
Nebenbei wälzt sich die COVID-19-Pandemie wie eine Planierraupe mit immer neuen Virusmutationen durch das Land, was manche Republikanisch geführte Bundesstaaten am letzten Wochenende nicht davon abhielt, zur völligen Öffnung zurückgekehrt - keine Masken, kein Abstand, gar nichts. Biden muss sich hier beweisen, will er die Pandemie unter Kontrolle bringen. Gleichzeitig muss er dafür sogen, dass seine ambitionierten Pläne durch beide Kammern des Kongresses verabschiedet werden.
Weil ein frisch gewählter Republikanischer Abgeordneter kurz vor Ablegung seines Amtseids an COVID-19 starb, sind es nunmehr 60 neugewählte Abgeordnete und sieben neue Senatorinnen und Senatoren, die in den Kongress eingezogen sind.
Im Abgeordnetenhaus hat sich die Mehrheit der Demokraten verringert, sie kommen aber auf 221 Sitze. Die Republikaner haben 210 Sitze. Fünf Sitze sind noch unbesetzt. Es sind fünf, weil gestern der erste amtierende Kongressabgeordnete, ein Republikaner, an COVID-19 verstorben ist. Drei freie Sitze gehören den Demokraten, die zum Anfang des Jahres in die Regierung gewechselt sind. Für alle fünf Sitze wird es bis Mai Sonderwahlen geben.
Im Senat hatte sich der Stand nach den zwei Stichwahlen in Georgia, über deren enorme Relevanz wir hier ausführlich berichtet hatten, zu Gunsten der Demokraten verändert: nämlich 50 Demokraten (inkl. der zwei parteilosen Senatoren, die mit den Demokraten stimmen) und 50 Republikaner. Es war eine unglaubliche Überraschung und nur wenige hatten mit dem Sieg beider Senatssitze für die Demokraten gerechnet. Übernacht katapultierte dieses Ergebnis die wichtigen Vorhaben der Biden-Regierung (das Billionen-Dollar Hilfspaket, das Klimagesetz, den Mindestlohn) von potenziellen Karteileichen zu erreichbaren Zielen. Denn selbst wenn die Sitzverteilung 50/50 ist, kann die Vizepräsidentin Kamala Harris als gleichzeitige Senatspräsidentin bei unentschiedenen Abstimmungen mit ihrer Stimme die Waage kippen und den Demokraten die einfache Mehrheit bringen.
Aber schauen wir uns das Führungsteam der Demokraten im Kongress etwas genauer an:
Die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, auch Speaker of the House genannt, ist Nancy Pelosi. Sie hat großen Einfluss auf die institutionellen und administrativen Abläufe des Hauses. Pelosi steht nach der Vizepräsidentin Harris an dritter Stelle der offiziellen Reihenfolge als Nachfolger_innen des US-Präsidenten.
Die Führungsebene um Pelosi besteht außerdem aus:
Zum ersten Mal in Geschichte des Kongresses leitet eine Frau -und zudem eine afro-amerikanische Frau- den Senat. Es ist Vizepräsidentin Kamala Harris. Sie ist gleichzeitig Senatspräsidentin (auch wenn sie selbst keine Senatorin ist). Ihr obliegt die Verabschiedung von Gesetzen und im Falle einer unentschiedenen Abstimmung der Tie Breaker - die entscheidende Stimme. Sie schwingt in diesem Fall gen Demokraten.
Viel Arbeit wartet also auf Pelosi und Schumer und dennoch haben beide dieser Tage erklärt, sich sofort an die Arbeit zu machen, um die Agenda von Präsident Biden in den Gesetzgebungsprozess einzubringen und dem Präsidenten zeitnah zur Unterschrift auf den Schreibtisch zu legen.
Die Republikaner fordern jetzt die von Joe Biden im Wahlkampf versprochene Überparteilichkeit. Vor allem das Hilfspaket ist ihnen aufgrund des finanziellen Umfangs ein Dorn im Auge. Sie haben Biden ein Gegenangebot gemacht, das er bereits als unzureichend ausschlug. Beide Pakete lagen ca. 1,3 Billionen US-Dollar auseinander. Dennoch, Joe Biden ist nach wie vor kompromissbereit, hat aber die Lektion aus der letzten Wirtschaftskrise gelernt und hält zudem an den Versprechen der Demokraten vor der Wahl fest: z.B. an den 1,400 US-Dollar an Direktzahlungen für Amerikaner_innen, die von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie besonders betroffenen sind. Die Höhe soll bleiben, aber ev. werden die Demokraten bei der Einkommensgrenze Kompromisse machen. Wenig Aussicht auf Verbleib in Bidens Hilfspaket hat der $15 bundesweite Mindestlohn. Ihn wird er wohl später in einem separaten Gesetz verhandeln müssen.
Viele fragen sich vielleicht, warum die Demokraten so auf “Überparteilichkeit” setzen und sogar kompromissbereit sind. Sie haben mit Kamala Harris Stimme doch die Mehrheit, nicht wahr? Im Abgeordnetenhaus gilt das: einfache Mehrheit und ein Gesetz geht durch. Im Senat ist das aber anders.
Damit die Minderheit und vor allem die Interessen der kleinen Bundesstaaten geschützt werden, haben die Väter der Verfassung jedem Bundesstaat, egal wie groß oder bevölkert, zwei Senatssitze zugesichert. Das war eine der Maßnahmen, David vor Goliath zu schützen. Eine andere Schutzmaßnahme, die Anfang des 19. Jahrhunderts entstand, ist der so genannte Filibuster. Er erlaubt es, die Gesetzgebung durch verlängerte Debatten zu blockieren. Obwohl im 19. und 20. Jahrhundert nicht oft genutzt, entwickelte er sich im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einem normalisierten Bestandteil der Gesetzgebung und gibt der Minderheit die Möglichkeit, Gesetzte zu blockieren oder hinauszuzögern. D.h., um die Debatte —den Filibuster— zu beenden, sind 60 Stimmen erforderlich. Erst dann, wenn die Debatte beendet wurde, kann mit einfacher Mehrheit entschieden werden. De facto hat sich der Senat damit in eine 60-Stimmen Institution verwandelt. Gerade im heutigen, politisch-polarisierten Klima Washingtons macht es die Verabschiedung fast jeder “umstrittenen” Gesetzesvorlage unmöglich.
Aber warum “fast” jeder umstrittenen Gesetzesvorlage? Nun ja, wie immer gibt es Ausnahmen und in diesem Fall kann der Senat mit Hilfe eines parlamentarischen Kniffs, dem so genannten “reconciliation process” also einem Schlichtungsprozess drei Mal pro Jahr den Filibuster umgehen und das Gesetz mit einfacher Mehrheit direkt verabschieden. Das gilt aber nur für Gesetze zu Ausgaben, Einnahmen oder Bundesschulden.
Und das ist genau die Frage der Stunde. Werden es Biden und Schumer schaffen, die nötigen 10 Stimmen der Republikaner zu gewinnen, um das Hilfspaket trotz Filibuster auch im Senat zu verabschieden? Dann wäre es ein überparteilicher Erfolg. Doch wenn die Republikaner nur auf Zeit spielen, ohne konkrete Stimmenzusage, wie sie es 2009 bei Obamacare ein ganzes Jahr lang gemacht haben, um dann bei der Abstimmung doch entlang der Parteilinie dagegen zu stimmen, dann soll der Schlichtungsprozess greifen und das Paket mit einfacher Mehrheit durch den Senat gehen. Das ist die Lektion, die Biden und die Demokraten schmerzlich gelernt haben.
Es ist ein Ausweg, aber auch ein Hindernis, denn wenn Schumer den Schlichtungsprozess in diesem Fall nutzen wird, steht er für Gesetze mit Ausgaben bis 2022 nicht mehr zur Verfügung, d.h. andere wichtige und -ihr ahnt es- umstrittene Vorhaben Bidens müssten dann die 60 Stimmen erreichen, um die Debatte zu beenden und das wird für seinen Build Back Better Plan sehr, sehr schwierig.
Heute ist es soweit. Das zweite Amtsenthebungsverfahren von Donald Trump hat begonnen. Er war der Präsident der Superlative, aber nicht jener, die er sich gerne selbst verliehen hat. Nein, er war der Präsident der meisten Lügen (über 30.000), er war auch der korrupteste Präsident, der nicht nur seine eigenen Taschen füllte, sondern auch die seiner Kinder und Verwandten, und nicht zuletzt war Trump der gefährlichste Präsident, der nicht nur “feine Leute” unter den Fackeln tragenden Anti-Semiten und Rechtsextremen in Charlottesville ausmachte, sondern auch den gewaltsamen Angriff auf das Kapitol öffentlich anstachelte und dem Mop per Video zurief: Wir lieben Euch. Die Liste seiner Superlative ist lang. Dazu kommt heute noch eines: Trump ist der erste Präsident, der zweimal vom Kongress angeklagt wurde.
Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass eine nötige Zweidrittel-Mehrheit im Senat zustande kommt, denn die Mehrheit der Republikaner steht im Schulterschluss hinter ihm, ist es der letzte große Superlativ, den das Land zu vergeben hatte und den, den hat er sich redlich verdient.
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