"Trump wird das nicht durchhalten"
Nach dem gescheiterten Attentat gibt sich Donald Trump betont präsidial. Für den Parteitag der Republikaner hat er sogar seine Rede umgeschrieben. Doch ein Experte glaubt nicht, dass sein Ruf nach Einheit lange anhält.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Heute startet der Nominierungsparteitag der Republikaner in Milwaukee und seit dem Attentat auf Donald Trump ist alles anders. Die Sicherheitsmaßnahmen werden verschärft und Trump tritt plötzlich deutlich weniger aggressiv auf. Wie stark verändert der Vorfall die Dynamik im Wahlkampf mit den Demokraten? Wie werden Donald Trump und die Republikaner den Angriff auf ihren Kandidaten politisch nutzen?
Der US-Experte und langjährige Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington, Knut Dethlefsen, hat mit t-online über die Folgen für die USA und die Präsidentschaftswahlen im November gesprochen.
t-online: Herr Dethlefsen, sechs Jahre lang haben Sie das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington geleitet. Jetzt ziehen Sie weiter nach Brüssel. Hätten Sie damit gerechnet, dass Sie vor Ihrem Abschied einen Mordanschlag auf einen ehemaligen US-Präsidenten erleben?
Knut Dethlefsen: Nein, natürlich nicht. Diese Nachricht ist schrecklich und wie ein Schock. Historisch betrachtet ist politische Gewalt in den USA allerdings schon immer Teil der Realität gewesen. Es gibt hier zwar den Anspruch, an die Vernunft zu appellieren und seinen Gegner mit Argumenten zu überzeugen. Aber es gibt auch diesen anderen Teil: Den Gegner, wenn er nicht auf Argumente hört, aus dem Weg zu räumen. Das war von Beginn an so. Man denke etwa an das Attentat auf Abraham Lincoln oder an das Jahr 1968 und die Ermordung der politischen Lichtgestalten Dr. Martin Luther King und Robert Kennedy.
Warum trifft es in den USA besonders Präsidenten?
Attentate auf Präsidenten sind in der amerikanischen Politik verwurzelt, weil hier die politischen Hoffnungen immer in einer einzigen Person, also dem Präsidentschaftskandidaten oder dem Präsidenten, gebündelt werden. Im aktuellen Fall möchte ich allerdings festhalten: Noch wissen wir nichts über die wirkliche Motivlage des Täters. Bislang kennen wir nur den Namen.
Schnell gab es Einschätzungen, der Wahlkampf sei jetzt gelaufen. Trump als Opfer eines Attentäters, samt bildgewaltiger Kampfpose – können die Demokraten dem überhaupt noch etwas entgegensetzen?
Ich denke nicht, dass die Wahl schon endgültig entschieden ist. Es kann so viel passieren in den mehr als 100 Tagen. Es ist noch unklar, wie Trump und die Republikanische Partei dieses Attentat in ihre politische Dramatik einbauen. Schaffen sie es, staatsmännisch zu werden? Der Moment wäre da, um die Rhetorik zu ändern, auf Einheit zu setzen, um damit auch unabhängige Wählerinnen und Wähler zu gewinnen.
Trumps ersten Reaktionen deuten darauf hin. Er appellierte an den gesellschaftlichen Frieden und die Einheit des Landes.
Das ist taktisch klug. Wenn er das durchhält, würde ihm das Vorteile bringen. Aber ich glaube, dass Trump das weder als Person noch mit seiner Art, Politik zu machen, durchhalten wird. Er wird seine Erzählung des Verfolgten jetzt erst recht fortsetzen. Er wird die politische Auseinandersetzung nicht um die besseren Ideen führen, auch weil er selbst gar keine hat. Er wird seinen politischen Gegner Joe Biden und die Demokraten weiterhin als Feind sehen und so auch den Wahlkampf führen.
Wie schwer wird es für die Demokraten jetzt, Donald Trump und die Republikaner noch hart genug zu attackieren?
Die Demokraten sind jetzt in der Defensive. Das Augenmerk richtet sich auf die Republikaner, deren heute beginnenden Parteitag und auf die Auswahl des Vizepräsidenten. Trump kann sich auf dem Parteitag als Helden und geradezu als Messias feiern lassen. Die Demokraten sind aber nach wie vor kämpferisch. Auch wir sollten sie nicht aufgeben.
Was sollten sie jetzt tun?
Die Demokraten müssen sich jetzt neu aufstellen und überlegen, wie sie auf das Attentat reagieren wollen. Wenn sie vom Republikaner-Parteitag aus angegriffen werden, könnten sie es schaffen, dem vielleicht eine andere, klügere Rhetorik entgegenzusetzen. Führen sie einen Wahlkampf um die Einheit des Landes oder weiterhin einen, der voll auf Trump zugespitzt ist? Und dann ist da natürlich die Frage: Wollen sie an ihrem Kandidaten Joe Biden festhalten? Oder soll es doch noch eine Personalrochade geben?
Schon vor dem Attentat wurde über die Tauglichkeit von Joe Biden diskutiert. Das scheint jetzt in den Hintergrund zu geraten. Wird den Präsidenten das Thema noch mal einholen?
Ja, ich vermute, dass es nicht völlig vorbei ist. Zuerst werden sich die Reihen wohl hinter Joe Biden schließen. Aber jene Kandidatinnen und Kandidaten, die um ihre Wahlkreise fürchten, sind ja nicht plötzlich weg. Ihre Chancen, die Wahl zu gewinnen, könnten jetzt wohl noch weiter sinken. Nehmen sie Joe Biden weiter als Ballast wahr, werden sie sich nicht einfach zurücklehnen. Darum dürfte die Diskussion in Kürze wieder aufkommen. Vielleicht wäre ein Personalwechsel dann wirklich eine Chance, um wieder in die Offensive zu kommen.
Aber das Attentat bleibt doch wahrscheinlich auf absehbare Zeit ein Hindernis für harte politische Attacken.
Es gibt nach wie vor eine unterschwellige Dynamik zwischen beiden Parteien, die auch durch das Attentat nicht einfach weg ist. Darin liegt auch nach wie vor eine Chance für Joe Biden, dessen große Stärke es immer war, die Demokratische Partei so lange zusammengehalten zu haben. Wenn ihm das auch in der nächsten Woche erfolgreich gelingt, kann die innerparteiliche Debatte auch abflauen. Was Trump und die Republikaner auch bedenken müssen: Die Popularität, die aus einem vereitelten Attentat hervorgehen kann, hält nicht lange an. So war das zum Beispiel auch bei Ronald Reagan. Im November kann die Situation eine ganz andere sein.
Die Demokraten stecken in einem großen Dilemma. Hätte man nicht frühzeitig sehen müssen, dass sich mit Joe Biden nur schwer eine vielversprechende Dynamik entfalten lässt?
Die Demokratische Partei hat vor einem Jahr die Entscheidung gefällt, auf Sicherheit zu setzen und einen offenen Vorwahlkampf zu vermeiden. Man fürchtete um den Amtsbonus und eine Schwächung möglicher Alternativkandidaten zu Joe Biden. Diese Entscheidung hat sich jetzt als trügerisch erwiesen. Bidens Auftritt bei der Debatte, die er ja selbst führen wollte, um Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit auszuräumen, hat das Gegenteil erreicht. Die amerikanische Öffentlichkeit zweifelt jetzt erst recht an seiner mentalen Fitness. Die interne Debatte um den Kandidaten kommt jetzt natürlich zur Unzeit. Für Donald Trump ist das eine Steilvorlage.
Joe Biden führt jetzt seit gut zwei Wochen einen Zweifrontenkrieg – einerseits gegen die Angriffe des politischen Gegners, andererseits gegen den wachsenden innerparteilichen Widerstand. Schlägt er sich dafür nicht erstaunlich gut?
Ich halte Joe Biden für einen wirklich kompetenten und auch historischen Präsidenten, der unglaublich viel geleistet hat. Aber die Anforderungen an die Präsidentschaft sind sehr, sehr groß. Deswegen sollte er reflektieren, ob er mit der Spannkraft eines 81-Jährigen wirklich der Richtige ist für diese tektonischen Auseinandersetzung mit den Republikanern. Diese Forderung stellt darum auch hochrangige Demokraten, wie die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi.
Warum kann man Joe Biden, zumindest als Kandidaten, nicht einfach absetzen?
Nur er selbst kann diese Entscheidung fällen, weil es sonst so aussieht, als würde er vom Schild geschubst von denen, die ihn bislang getragen haben. Das wirkt illoyal und macht einen schlechten Eindruck nach außen. So wie das amerikanische System funktioniert, geht das auch nur, wenn er seine Delegierten auf dem Parteitag im August freigibt.
Was wurde eigentlich aus Joe Bidens Versprechen, er sei nur ein Präsident des Übergangs?
Ehrlicherweise ist auch das im amerikanischen System äußerst schwer umzusetzen, ohne dass die Partei oder der Kandidat Schaden nimmt. Als sich die Partei von dem laut Umfragewerten schwachen Präsidenten Jimmy Carter distanzierte und der Gegenkandidat Ted Kennedy antrat, verlor man die Wahlen am Ende krachend. Dennoch hätte man vom bloßen Hinsehen die Gefahr erkennen müssen, die Joe Bidens Alter birgt. Das wurde extrem unterschätzt. Man dachte, die Leute mögen ihn. Das ist auch nach wie vor so. Aber wegen seiner offensichtlichen Schwäche wurde aus Sympathie vor allem Sorge. Und die treibt jetzt das ganze Land um.
Wie groß ist die Gefahr, dass im Falle eines Rückzugs von Biden Chaos ausbricht? Viele Kandidatinnen und Kandidaten könnten sich kurz vor den Wahlen im Herbst noch gegenseitig beschädigen.
Ich denke, dass Kamala Harris genau aus dieser Sorge heraus breit unterstützt würde. Mit einer solchen Entscheidung könnte man auch den Republikanern mit ihren Angriffen den Wind aus den Segeln nehmen. Plötzlich wären die Demokraten dann Herr beziehungsweise Frau der Agenda. Plötzlich hätten sie die deutlich jüngere Kandidatin samt der gemeinsam aufgebauten, großen Wahlkampfkasse.
Aber Kamala Harris Umfragewerte sind historisch schlecht. Könnte sie die Wählerinnen und Wähler wirklich überzeugen?
Ich halte Kamala Harris für eine starke Kandidatin. Sie wäre auch eine gute Präsidentin. In einer idealen Welt wäre es wahrscheinlich so, dass es noch besser wäre, eine Kandidatin oder einen Kandidaten aufzustellen, der aus einem der wichtigen Swing States, wie Michigan oder Pensylvania kommt. Aber bei jedem Kandidaten würde es entscheidend darauf ankommen, dass genügend eigene Wähler mobilisiert werden können. Das ist genau die Gefahr mit Joe Biden. Zu viele könnten denken: Wir wählen den alten Mann nicht, weil er uns eben zu alt ist und weil wir ihm darum nicht vertrauen.
Sie haben jetzt sechs Jahre in den USA gelebt. Machen Sie sich Sorgen um Amerika – insbesondere nach dem Attentat?
Die politische Spaltung des Landes, die Unversöhnlichkeit, ja Feindseligkeit in der politischen Auseinandersetzung und der große Einfluss von Desinformationen bis zu Verschwörungstheorien machen die politischen Realität in den USA sehr unattraktiv. Gleichwohl gibt es eine große Dynamik, die insbesondere bei einer Wahlniederlage von Donald Trump freigesetzt werden könnte. Ich hoffe sehr, dass wir im November werden sagen können, die Republik hat gehalten.
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USA and Canada
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