05.11.2013

US-Reaktionen auf die Enthüllungen der Bespitzelung von Angela Merkel durch die NSA

In der amerikanischen Debatte über die NSA-Enthüllungen stand bislang mehr oder weniger ausschließlich die Verletzung der Privatsphäre von US-Bürgern im Fokus. Die Aktivitäten der NSA im Ausland wurden auch von Kritikern der NSA kaum thematisiert.

Das ändert sich nun: Tiefe Verärgerung über und anhaltende Kritik am Ausspionieren von Angela Merkel und anderen Regierungschefs befreundeter Nationen führen zu harten Fragen und werfen neues Licht auf die Risiken und Kosten der NSA-Aktivitäten. Sinn und Legitimität der 1952 gegründeten Geheimdienstorganisation werden in einer noch nie da gewesenen Form hinterfragt. Angesichts des politischen Patts in Washington haben jüngst einzelne Bundesstaaten die Initiative zum besseren Schutz der Privatsphäre ergriffen. Nun legen auch Senatoren und Abgeordnete Gesetzesinitiativen vor. Große Internet-Firmen fordern umfassende Reformen. Amerika stehe nach den neuesten Enthüllungen von Edward Snowden vor einem Wendepunkt, meinte Ende Oktober ein Gesprächspartner im Kongress.

Eine neue Diskussion über Kosten und Wirksamkeit:
Die Arbeit der NSA wird nach wie vor mit den Argumenten verteidigt, sie sei legal, diene der Sicherheit Amerikas und sei zudem nicht außergewöhnlich, sprich “alle machen es” (selbst der Geheimdienst-Direktor James Clapper räumt jedoch die großen Unterschiede in den Kapazitäten ein). Das Ausspionieren der deutschen Kanzlerin wird jedoch nicht verteidigt, sondern allseits kritisiert. Der republikanische Abgeordnete Darrell Issa, Vorsitzender des Ausschusses zur Regierungskontrolle und -reform im Repräsentantenhaus, sagte in der Sendung „Face the Nation“ im Fernsehsender CBS am 28.10.: "If what you do in Germany helps the Germans, then fine. But you don't spy on the head of state". Senatorin Dianne Feinstein, die demokratische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses und Verteidigerin von Regierung und NSA, verlangt eine "totale Überprüfung“ aller Spionage, die sich gegen ausländische Regierungschefs richtet. Sie wurde im öffentlichen Radiosender NPR wie folgt zitiert: "Unless the United States is engaged in hostilities against a country or there is an emergency need for this type of surveillance, I do not believe the United States should be collecting phone calls or emails of friendly presidents and prime ministers. It is abundantly clear that a total review of all intelligence programs is necessary so that members of the Senate Intelligence Committee are fully informed as to what is actually being carried out by the intelligence community”. Joel Brenner, der ehemalige Generalinspekteur der NSA, verurteilte „routine targeting of close allies” als “bad politics and foolish”.

Eine Flut kritischer Artikel und Kommentare thematisiert einen einerseits außer Kontrolle geratenen Spionage-Apparat und andererseits die Grenzen seiner Wirksamkeit. Ohne Frage ist die NSA unter massivem Handlungs- und Erfolgsdruck: Nicht nur das Weiße Haus, sondern viele andere US-Ministerien sowie die CIA stützen sich in internationalen Krisen vornehmlich auf NSA-Daten, die allmorgendlich oft gut die Hälfte des Security Briefing des Präsidenten ausmachen. In der Angst, etwas zu übersehen, was den USA Schaden zufügen (und damit den Ruf der NSA untergraben) würde, hat sich die Agentur zu einem “technologischen Allesfresser” mit einer schier unbegrenzten Agenda entwickelt (siehe NYT vom 3.11,2013, "No Morsel too minuscule for All-Consuming N.S.A.", Link). Das alles war auf der Basis hastig verabschiedeter Gesetze nach 9/11 möglich sowie einer schier unbegrenzten Bereitschaft, Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Dazu kamen rasante Weiterentwicklungen technischer Kapazitäten und eine Heerschaar engagierter Mitarbeiter, die von dem Gedanken beseelt sind, alles überwachen zu müssen, um das Land vor einem neuen 9/11 zu bewahren. Die Programme seien immer weiter gewachsen und über den Punkt hinaus mutiert, wo sie noch den nationalen Interessen dienten, so das Fazit des Washington Post-Kolumnisten Harold Meyerson (Washington Post, 30.10.2013, Link).

Doch die Begrenztheit der angeblich allwissenden und omnipräsenten NSA wird u.a. in Afghanistan sichtbar. Alle Überwachung und Datensammlung hat nicht zur Entwicklung einer erfolgreichen Strategie gegen die „low tech“ Gegner geführt – ein Indiz dafür, was Spionage im Kontext komplexer politischer und militärischer Probleme nicht bewirken kann. Zu den Kosten der NSA-Affäre gehört auch die beschädigte Glaubwürdigkeit Präsident Obamas. Nach offiziellen Verlautbarungen des Weißen Hauses wusste er bis in den Spätsommer nicht, dass Angela Merkel und andere Staatschefs befreundeter Länder abgehört wurden. Obamas Kritiker halten das für wenig glaubwürdig. Doch Kenner der Geheimdienste verweisen auf die für die Dienste maßgebliche “doctrine of plausible deniability”, d.h. eingeschränkte Informationen im Dienst der „Doktrin plausibler Leugnung“. Es muss dem Präsidenten in einem Krisenfall möglich sein, glaubhaft zu versichern, von bestimmten Dingen nichts gewusst zu haben. Doch dieses „Nichtwissen“ verschafft ihm nun kaum Spielraum oder Sympathie. Kritiker verweisen darauf, dass er Nichtwissen auch in anderen Krisenfällen beansprucht hat. Sie gestehen zu, dass er unmöglich alle Details seiner Administration wissen kann. Zugleich aber erwarten sie, dass er zentrale Entwicklungen im Griff hat und sich nicht aus der Verantwortung stiehlt.

Neue Grundsatzfragen:
Die jahrzehntlang im Verborgenen operierende NSA (Spötter nennen sie “No Such Agency”) sieht sich in einer noch nie dagewesenen Form feindseligen Fragen ausgesetzt. Völlig unerwartet gerät sie nicht durch einen katastrophalen Fehlschlag, sondern durch ihre schier unglaublichen Erfolge unter Beschuss. „Sie wissen nicht, wie sie es reparieren sollen; sie wissen nicht, wie sie reagieren sollen“, kommentierte ein Mitarbeiter im Kongress. Führende NSA-Vertreter verteidigen sich und sind zugleich ratlos angesichts vieler neuer Grundsatzfragen.

Wenn angesichts der unüberschaubaren Datenmenge, der ebenfalls kaum noch überschaubaren Zahl der Mitarbeiter und den neuen technischen Möglichkeiten die Geheimhaltung nicht länger garantiert werden kann, überwiegen dann die politischen Risiken den möglichen Nutzen der Datensammlung? Soll Amerika seine Spionage einschränken und wenn ja, nach welchen Kriterien? Welche Länder sind “close enough”, um die bisherigen Praktiken aufzugeben? Bedeutet die zum Teil willentliche, zum Teil unwillentliche Kooperation von amerikanischen Internet-Firmen mit der NSA einen kaum reparablen Schaden für ihr globales Geschäftsmodell? In der Diskussion wurde zu Beginn immer auf den Schutz amerikanischer Bürger vor einem mächtigen Staat durch die Bill of Rights verwiesen, der aber für Nicht-Bürger nicht automatisch gilt. Nun wird gefragt, ob auch Nicht-Amerikaner, welche die Dienste von US-Firmen in Anspruch nehmen, Anspruch auf Schutz ihrer Privatsphäre haben.

Beobachter fragen zudem, ob eine effektive Einhegung durch neue Vorschriften und Abkommen gelingen kann. Am wahrscheinlichsten ist, dass Veränderungen durch eine veränderte Risikoanalyse zu Stande kommen, wozu auch die Analyse der Kosten einer Aufdeckung und die Kosten des massiven Vertrauensverlusts und des verlorenen Ansehens der USA gehören.

Reformforderungen:
Viele Beobachter und Kommentatoren erheben die Forderung nach Stärkung der Gerichte, besserer parlamentarischer Kontrolle und wachsameren Präsidenten. Auf Bundesebene sind Bemühungen um einen besseren Schutz der Privatsphäre amerikanischer Bürger bislang durch die Lobby von Technologie-, Marketing- und anderer Unternehmen vereitelt worden (z.B. ein 2012 von Präsident Obama vorgeschlagenes Gesetz, das Konsumenten ermöglichen sollte, die über sie von Unternehmen gesammelten Daten einzuschränken und einzusehen). Der Reformstau hat 10 Bundessaaten veranlasst, über zwei Duzend “privacy laws” zu verabschieden. Der entstehende Flickenteppich an Regelungen stellt die Unternehmen vor neue Herausforderungen.

Die Kritik an der unzureichenden parlamentarischen Kontrolle vereint im Kongress Abgeordnete und Senatoren beider Parteien. Die Mitglieder des Geheimdienstausschusses haben “egg on their face”, sprich „sich nicht mit Ruhm bekleckert“, wie ein Mitarbeiter sagte. Sie werden von ihren Kollegen hart mit Fragen angegangen, was sie wann wussten und warum sie nicht besser informiert wurden. Das Problem besteht zum Teil in zu wenig Information, zum Teil aber auch im Zugang zu einer unübersichtlichen Masse an Informationen, in der einzelne politisch relevante und brisante Fakten für viele nicht mehr erkennbar sind. Sowohl das Repräsentantenhaus, als auch der Senat arbeiten an Reformvorhaben.

Im Senat wurden in der vergangenen Woche zwei Gesetzesentwürfe eingebracht, welche die Bandbreite der Diskussion deutlich machen: Der sog. “FISA Improvements Act” (Link), eingebracht von Senatorin Dianne Feinstein, zielt darauf ab, das aktuelle Programm zur Erhebung von Telefondaten amerikanischer Bürger beizubehalten, allerdings mehr Transparenz zu schaffen. Zukünftig soll z.B. jede Anfrage auf Überprüfung einer Telefonnummer durch das FISA-Gericht genehmigt werden. Kritiker halten diesen als Einschränkung der NSA-Vollmachten präsentierten Entwurf für eine de-facto Legalisierung der NSA-Programme und Stärkung der NSA. Die Senatoren Mark Udall (Demokrat, Colorado) und Patrick Leahy (Demokrat, Vermont) hingegen streben eine umfassende Reform an. “The NSA’s ongoing invasive surveillance of Americans’ private information does not respect our constitutional values and needs fundamental reform, not incidental changes”, wird Senator Udall zitiert. Der von beiden eingebrachte “USA Freedom Act” (Link) zielt darauf ab, die Sammlung von Telefon-Metadaten einzustellen. James Sensenbrenner (Republikaner aus Wisconsin und Autor des PATRIOT Act) arbeitet parallel an einer Fassung eines solchen Gesetzes im Repräsentantenhaus. Mehr Druck kommt nicht nur aus Politik, sondern auch von den großen Internetfirmen. Auf die ersten Enthüllungen im Juni hatten die Firmen laut New York Times vergleichsweise milde reagiert und u.a. auf mehr Transparenz bezüglich der Regierungsanfragen bei Überwachungsanträgen gedrungen. Im Licht neuer Aufdeckungen in der Washington Post zum Abfangen der Daten von Google- und Yahoo-Nutzern, die zwischen Datenzenten im Ausland zirkulieren, fordern sie nun eine Beschränkung der NSA-Befugnis, Daten zu sammeln und zu nutzen. Facebook, Google, Apple, Yahoo, Microsoft und AOL haben in einem Brief an den Senat den Reformvorschlag unterstützt, der die massenhafte Sammlung von Telefon-Metadaten beenden und die Wahrung der Grundrechte im FISA-Gericht durch Bestellung eines Anwalts, der Fälle vor dem Gericht prüft, stärken würde.

Es gibt Anzeichen, dass die Obama-Administration auf Distanz zu den Aktivitäten der NSA geht. Lisa Monaco, Obamas Beraterin in Fragen der Terrorabwehr, forderte am 25.10., dass die USA die Sicherheitsanforderungen besser ausbalancieren müssten mit der Sorge um Wahrung der Privatsphäre. In einem viel beachteten Artikel in USA Today schrieb sie: „We want to ensure we are collecting information because we need it not just because we can“. Obama äußerte sich Ende Oktober in fast den gleichen Worten. Laut USA Today unterzieht die Obama-Administration ihre gesamte Politik einer umfassenden Überprüfung. Die New York Times berichtete am 29.10., dass Obama erwäge, die Überwachung und das Ausspionieren von Regierungschefs befreundeter Staaten zu untersagen (siehe: "Obama May Ban Spying on Heads of Allied States",  Link).

Kritik aus dem Ausland und Forderungen nach Reformen treffen also in den USA durchaus auf Verständnis und Zustimmung. Sie sind um so wirksamer, je mehr man die vielfach missbrauchte, jedoch nach wie vor wirkungsmächtige Angst vor einer Wiederholung von 9/11 anerkennt und in Rechnung stellt. Nicht nur die aktuelle Krise, auch der Umgang damit bestimmt die weitere Entwicklungen. Die Partner auf beiden Seiten des Atlantiks profitieren von einer in der Sache eindeutigen, aber nüchternen, auf Lösungen ausgerichteten Debatte über die nötigen Reformen eines aus dem Ruder gelaufenen Systems, das den Blick auf langfristige gemeinsame Interessen und die weiterhin sinnvolle und notwendige Kooperation nicht verstellen sollte.

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